Edgar Schonart

 

„Verlier nicht Deinen Humor“, sagt einer am Ende der Führung zu Vogelkundler Edgar Schonart. Der erwidert: „Nee. Ich hab‘ nichts anderes“. Und tatsächlich ist es sein Humor, der zuerst auffällt, an der „Gallionsfigur“ Spiekeroogs, wie ihn der Inselbote mal bezeichnet hat. Ein Humor, der sich nicht gegen andere richtet; Schonart macht sich vor allem lustig über sich selbst. So z.B. wenn er den V-förmigen Flug einer Rohrweihe nachmacht, einem Raubvogel, und dabei über seine angebliche Wampe scherzt, die nicht gerade aerodynamisch sei.

 

Dabei ist Schonart für einen 81jährigen auffallend fit. 3 Stunden dauern seine Führungen, kein einziges Mal setzt er sich hin, keinen Schluck Wasser gönnt er sich in der ganzen Zeit, obwohl die Sonne an diesem Junimorgen brennt. Und einen schweren Rucksack, beladen mit seinen Kalendern, Büchern und Broschüren trägt er auch noch mit sich rum. 

 

Wir sind 14 Touristen, die Schonart an diesem Freitag morgen durch seine Vogelwelt führt. Die meisten von ihnen waren schon auf dem Weg zum Treffpunkt als Teilnehmer zu erkennen. Breitkrämpige Hüte, Wanderschuhe, Rucksäcke, Feldstecher. Jeden Freitag führt Schonart über die Insel. Kostet nix. Er verdient keinen Cent daran. Mache ihm selbst am meisten Spaß, sagt er. 

 

Beim Bluthänfling lieber weghören

Da, ein Bluthänfling. Den hat einer der Touristen entdeckt. Die meisten Touristen scheinen selber Profis zu sein. Schonart legt los: 35 Paare auf Spiekeroog. Blutrote Brust, rote Stirnplatte. Melodischer Gesang, durchsetzt mit Quietschlauten. „Bei denen muss man dann weghören“.  

Schonart hat zwar anfangs behauptet, nicht mehr gut sehen und hören zu können, aber das glaubt man ihm schon bald nicht mehr. Er sieht irgendwo Vögel, wo ich nur eine Wiese sehe und hört Vögel, wo ich das Geräusch eines Flugzeuges über uns höre. Wie zum Beispiel das „Zieahziahzieah“ des Wiesenpieper. Und dann zeigt er uns, wie der Wiesenpieper “wie ein Fallschirmspringer“ nach unten stürzt. Wissenschaftlich trocken zu reden, ist seine Sache nicht. Launig soll es sein.

 

Jäger hat er auf dem Kieker

Dabei ist Schonart das Frohgemute nicht in die Wiege gelegt worden. Seine Antwort auf meine Frage, wie er auf den Vogel gekommen ist, könnte dramatischer kaum lauten: Als er 11 Jahre alt gewesen sei, habe er eine fürchterliche Erfahrung mit einem Menschen in seinem privaten Umfeld gemacht. Daraufhin habe er sich von den Menschen abgewandt. Dafür den Vögeln zu. Im Alter von 20 Jahren habe er allerdings beim Anblick seines mürrischen Spiegelbildes beschlossen, das zu ändern. 

Seitdem scheint Schonart umgänglich zu sein, was allerdings Jäger eher nicht bestätigen werden. Die hat er gelegentlich auf dem Kieker. Die Jagd der Spiekerooger auf Fasane findet er unmöglich. Die Jäger behaupteten, sie würden die Population der Fasane beschränken. Das Gegenteil sei der Fall. Die Jäger würden ausschließlich Männchen schießen. Und das führe dazu, dass die Population steige. Grund: Ohne die streitsüchtigen Männchen, sind die Bedingungen für die Aufzucht stressfreier und damit erfolgreicher. Dabei, so Schonart, gebe es überhaupt keinen Grund, die Zahl der Fasane zu beschränken. „Die tun nichts“.

 

„Kanadagänse sollte man abknallen“

Anders die Kanadagänse, von denen gerade ein paar an uns vorbeifliegen. „Die sollte man abknallen“, sagt er drastisch. Es handele sich dabei um Gänse, die Wissenschaftler aus Amerika „geknebelt und gefesselt“ nach Europa gebracht hätten, um dort ihr Flugverhalten zu studieren. Schief gegangen. Seitdem zerstört die Kanadagans die Gelege von zahlreichen anderen Vögeln, wälzt sich darin herum, um Konkurrenz zu beseitigen. Und was kann man gegen die machen? Wirklich abknallen? „Dazu sind die zu schlau“, sagt Schonart. 

 

Katzen nennt er „Mörder“

Auch gegenüber ausgewilderten Katzen ist Schonart ungnädig. „Mörder“ nennt er sie, meint aber offenbar eher diejenigen Menschen, die Katzen verwildern lassen. Ebenso wie er nicht die Kanadagänse kritisiert, die können schließlich nicht anders, sondern unbedachte Wissenschaftler. Ach ja, den Igel würde er auch am liebsten von der Insel weghaben, auch ein Nesträuber, der auf der Insel nichts zu suchen habe. Klar, wie der Igel auf die Insel kam: Durch einen Menschen. „Ein echtes Verbrechen“.

 

Steinwälzer statt Sumpfohreule

Doch zurück zu den Vögeln, wobei wir allerdings die Mäuse erwähnen müssen. Davon gibt es im Sommer 2022 zu wenig. Sehr viele sind durch die vielen Sturmfluten in letzter Zeit ertrunken. Jedenfalls diejenigen, die nicht in den Dünen Schutz fanden. Und wo keine Mäuse sind, hat es auch einer der Lieblingsvögel Schonarts schwer, die Sumpfohreule. Der Bestand habe sich gedrittelt. Es gebe nur noch 5 Brutpaare. Es hängt eben alles mit allem zusammen. In diesem Jahr hat Schonart noch keine Sumpfohreule gesehen, normalerweise sehe man sie zu dieser Jahreszeit tagsüber Beute für ihre Jungen jagen. 

Dafür gebe es in Norderney zur Zeit besonders viele Steinwälzer (ja, auch das sind Vögel). Grund sei die Karnickelplage. Die Steinwälzer fänden es ideal, in ihren Bauten zu nisten. In Spiekeroog nisten die Steinwälzer nicht. hier gibt es ja auch keine Karnickel, sondern nur Hasen, und die graben keine Bauten. 

Der Fitis, noch so ein ungewöhnlicher Name, ist auch seltener als früher. Dieser gelblich-grüne Vogel, 9 Gramm schwer, melancholische Stimme, hat sich wohl nicht gegen den eiskalten Gegenwind behauptet, der ihm auf dem Weg nach Spiekeroog entgegenblies.

 

Tiere sind auch nicht besser als Menschen

Aber kein Grund zur Besorgnis. Der Bestand der Vögel in Spiekeroog sei in den letzten Jahrzehnten nicht zurückgegangen. Rund 325 verschiedene Vogelarten gibt es hier. Sogar den in Deutschland äußerst seltenen Bienenfresser, so heißt der wirklich. Vier Sichtungen habe es dieses Jahr auf Spiekeroog gegeben. Und warum heißt der Bienenfresser so? Schonart: Die schlagen die Bienen so lange auf einen Ast, bis die ihren Stachel verlieren und dann fressen sie die. 

Ok, denke ich: Tiere sind auch nicht immer besser als Menschen.

 

Hunde töten Robben

Als wir zum Strand kommen, sehen wir einen Schweinswal. Und kommen auf Robben zu sprechen. Eine Touristin, erzählt Schonart, habe ein Robbenbaby sehr liebevoll ins Naturparkhaus getragen. „Gehört eingesperrt“, befindet Schonart, aber in einem eher mitleidigen Tonfall.

Ein Dorn im Auge sind ihm auch die vielen Hunde, die am Strand liegende Robben ins Wasser jagen und damit zum Tode verurteilen. Denn die Robben liegen nicht ohne Grund am Strand. Sie tanken in der Sonne Vitamin D. Ohne, sterben sie. 

Ja, es geht zwar eigentlich um Vögel, bei Edgar Schonart, aber eben auch immer um das Leben schlechthin. Wie bei seinen regelmäßigen Kolumnen für den Spiekerooger Inselboten. In seinem Text über die gefiederte Maulwurfsgrille (auch ein Vogel) vom 4. Juni 2022, beklagt er, es werde zu öknomisch gedacht, „damit das menschliche Leben möglichst bequem oder gar komfortabel sei“. Und weiter: „Wir schreiten einer vor allem selbst erschaffenen, immer lebensfeindlicheren Zukunft, einem Abgrund entgegen“. 

Auf unserem sehr empfehlenswerten Spaziergang durch Spiekeroog haben wir davon zwar nicht viel mitbekommen, sind aber sensibilisiert für die großartigen Mechanismen der Natur. Die sich prima alleine helfen kann. Wenn der Mensch nur nicht immer dazwischenfunken würde.

 

Infokasten: Der Tausendsassa von Spiekeroog

Edgart Schonart behauptet zwar, er „habe nix gelernt, außer Piepmätze zu beobachten“. Aber das ist seine typische Selbstironie. Die Zahl seiner Berufe schätzt er auf 20 bis 30. Er machte vorgeschichtliche Ausgrabungen, betätigte sich als Sozialarbeiter, fungierte als Hausmeister und arbeitete immer wieder in Vogelwarten. In Israel sollte er eine Vogelwarte aufbauen, löste seine Lebensversicherung auf, um den Aufenthalt finanzieren zu können, lebte in einem Kibbuz, gab sein ganzes Geld aus und lebte danach halt woanders sein wildes Leben weiter. In Spiekeroog betreut er Vogelzivis, hält Vorträge, gibt Kalender und Bücher heraus, fungiert als Nationalparkwächter. Er hat in Spiekeroog 270 Vogelarten nachgewiesen, darunter 66 Brotvögel. Das Preisgeld für den Ehrenpreis in Höhe von 400 € hat Schonart für Fledermauskästen und Mauersegler-Nisthilfen investiert.